Der Kronzeuge – Erwartungen erfüllt?

Innen- und Kommunalpolitik
Dienstag,
4
.11.
2014
 
Wien
Vereinigung Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen
Bildrechte: Foto Mag. Peter Fink

Am 4. November 2014 fand in den Räumlichkeiten des BSA-Generalsekretariats eine sehr gut besuchte Veranstaltung der BSA Juristinnen und Juristen zur sogenannten „großen Kronzeugenregelung“ statt, die im Strafrecht mit 1. Jänner 2011 eingeführt wurde und vorläufig befristet bis 31. Dezember 2016 in Kraft ist.

Eine besondere Ehre war uns die Teilnahme des Bundesministers für Justiz a.D.
RA Dr. Harald Ofner sowie des Kammeramtsdirektors der Rechtsanwaltskammer Wien i.R. HR Dr. Manfred Stimmler.

Impulsreferate des Generalprokurators HR Dr. Werner Pleischl, des Generaldirektors für Wettbewerb Dr. Theodor Thanner und der Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. Elisabeth Rech unter der Moderation von Dr. Barbara Auracher-Jäger leiteten die Veranstaltung ein, anschließend wurde die Thematik mit den BesucherInnen der Veranstaltung diskutiert.

Generalprokurator HR Dr. Werner Pleischl brachte die derzeitige Rechtslage im Strafrecht zur Darstellung, wie sie sich aus § 209a StPO ergibt, wobei er auf die einzelnen Voraussetzungen dieser im Rahmen der Diversion eingeführten Regelung einging. Die vom Kronzeugen gelieferten Informationen dürfen noch nicht Gegenstand eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens sein. Er muss sein (gesamtes) Wissen um eine Straftat offenbaren und dadurch wesentlich dazu beitragen, dass es zu einer wesentlichen Förderung der Aufklärung einer in die Zuständigkeit des Landesgerichtes als Schöffen- oder Geschworenengericht oder der WKStA fallenden Straftat oder zur Ausforschung einer Person kommt, die in einer kriminellen Vereinigung, kriminellen Organisation oder terroristischen Organisation führend tätig ist oder war.

Die KronzeugInnenprivilegierung, die als Konsequenz entweder die Zahlung eines Geldbetrages (bis 240 Tagessätze), die Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder die Bestimmung einer Probezeit mit und ohne Auflagen, jeweils kombiniert mit Schadensgutmachung, hat, ist bei Delikten mit Todesfolge und Sexualdelikten ausgeschlossen. Sie ermöglicht der Staatsanwaltschaft die Einstellung des Ermittlungsverfahrens unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung nach „Erbringung der Leistungen“ durch den Kronzeugen.

In den Fällen, in denen eingegangene Verpflichtungen zur Mitwirkung an der Aufklärung verletzt wurden oder die Informationen falsch waren, keinen Beitrag zur Verurteilung des Täters zu liefern vermochten oder nur zur Verschleierung der eigenen führenden Tätigkeit in einer Organisation dienten, kann die Staatsanwaltschaft die vorbehaltende Verfolgung bis zur Verjährung unter Einhaltung einer 14-tägigen Frist wieder aufnehmen. Der Rücktritt von der Verfolgung bzw. die eventuelle Wiederaufnahme des Verfahrens ist dem Rechtsschutzbeauftragten zuzustellen, der gegenteilige Anträge an das Gericht stellen kann.

In seiner Beurteilung der bisherigen Praxis – es gibt bislang nur einen Anwendungsfall in einem großen Wirtschaftsverfahren – kam Pleischl zum Schluss, dass die jetzige Regelung ein hohes Risiko für den Kronzeugen darstellt. Die restriktiven gesetzlichen Voraussetzungen, zu späte Entscheidungen und zu lange Dauer bis zur Klarheit für den Kronzeugen seien ein Hindernis für die erfolgreiche Anwendung der Regelung, wobei er dafür plädierte, das Institut als solches zu belassen, die Voraussetzungen praktikabler zu gestalten und die Verknüpfung mit der Diversion zu lösen.

Der Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) Dr. Theodor Thanner befasste sich in seinem Impulsreferat mit der KronzeugInnenregelung im Kartellrecht, wobei er das dortige „KronzeugInnenprogramm“ als bewährt beurteilte. Gesetzliche Grundlage der seit 1. Jänner 2006 bestehenden kartellrechtlichen Kronzeugenregelung ist § 11 Abs. 3 WettbG, der es unter bestimmten Voraussetzungen der BWB ermöglicht, die Verhängung einer Geldbuße gegen UnternehmerInnen oder UnternehmerInnenvereinigungen nicht zu beantragen. Voraussetzung eines 100%igen Absehens von einem Geldbußenantrag ist die Einstellung der Mitwirkung an der Zuwiderhandlung durch das ersuchende Unternehmen sowie die Vorlage einer „ausdrücklichen Erklärung über die erfolgte Einstellung“. Eine weitere Voraussetzung ist, dass das Unternehmen als Erstes Informationen und Beweismittel vorlegt, die es der BWB ermöglichen, einen durch Verdacht auf Zuwiderhandlung begründeten Antrag auf Anordnung einer Hausdurchsuchung zu stellen. Die BWB darf zudem zum Zeitpunkt der Vorlage nicht bereits über ausreichende Informationen und Beweismittel verfügen, einen solchen Antrag zur Anordnung eines Hausdurchsuchungsbefehles hinreichend zu begründen.

Als Vorteil aus der Sicht der Unternehmen ist anzuführen, dass sie von Beginn an Immunität genießen, falls sie die Voraussetzungen erfüllen. Zudem kann ein schneller Schutz mit einfachen Mitteln erreicht werden, es gibt keine Geldbuße (für den 1. Kronzeugen), die Geldbußenreduktion ist umso höher, je früher das Unternehmen den Antrag auf Ermäßigung stellt. Weiters erfolgt die Erklärung über den Kronzeugenstatus durch die BWB, es erfolgt eine rasche Benachrichtigung des Bundeskartellanwalts über den Kronzeugenantrag, und die Berechtigung des Bundeskartellanwalts, eine Geldbuße zu stellen, entfällt (§ 36 Abs 3 KartG). Das Kartellgericht ist an den Antrag der BWB im Bereich der Höhe der Geldbuße gebunden. Das kartellrechtliche KronzeugInnenenprogramm hat sich als ressourceneffizientes Ermittlungsinstrument etabliert, die Regelungen werden als geglückt betrachtet, Anpassungsbedarf wird keiner gesehen.

Vizepräsidentin RAin Dr.in Elisabeth Rech äußerte sich grundsätzlich kritisch zu der strafrechtlichen KronzeugInnenenregelung, wie sie besteht, wobei sie als Hürden betrachtet, dass dem Kronzeugenbewerber keine definitiven Zusagen gemacht werden und eine Scheu besteht, als Kronzeuge als Verräter dazustehen. Sie hinterfragte die ethische Vertretbarkeit des Instrumentes, welches den Verrat gutheißt bzw. belohnt, weil insbesondere Geldbußen geringer sein können als der durch die strafrechtliche Tat erzielte Gewinn, keine definitive Schadensgutmachung verlangt wird und daher auch Opfer leer ausgehen können. Aus ihrer Sicht ist die im Lichte des Legalitätsprinzips von den Anklagebehörden überwiegend geforderte Beibehaltung oder Umbau der Kronzeugenregelung aus „Ermittlungsnotstand“ nicht gutzuheißen, weil den eine Verurteilung ermöglichenden Aussagen des Kronzeugen ein hoher rechtspolitischer Preis entgegensteht. Durch die Strafmilderung wird das Prinzip einer gleichmäßigen kalkulierbaren und der Schuld angemessenen Bestrafung verwischt. Da Kronzeugen meist in Fällen schwerer (Wirtschafts-)Straftaten hinzugezogen werden, besteht die Gefahr, dass ausgerechnet solche Straftäter, die besonders große Schuld auf sich geladen haben, durch ihre Aussage einen Vorteil bei der Strafzumessung erlangen können, was kleinen StraftäterInnen nicht ermöglicht wird. Außerdem kann argumentiert werden, dass die Verführungskraft eines erheblichen Straferlasses so stark sein kann, dass der Straftäter zur falschen Beschuldigung des/der Hauptangeklagten geradezu eingeladen würde, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

In der anschließenden Diskussionsrunde wurden ergänzende Fragen vom Podium beantwortet - es gab pro und contra-Meinungen zum Rechtsinstrument der „Kronzeugenregelung“.

Bericht: RA Dr. Friedrich Reif-Breitwieser

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